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Einführung zur Ausstellung
"Federleicht"
in der Galerie Verein Berliner Künstler, Berlin, 2024
von Matthias Reichelt, Kulturjournalist

Jürgen Kellig bleibt streng im Schwarz-Weiss-Modus mit seinen exakten und schwarzen filigranen Linien, aufgetragen auf weissen Blättern. Oft arbeitet er mit Stift, Feder oder Pinsel, doch diese hier zu sehenden Arbeiten sind mit einem Tintenschreiber Marke Mitsubishi Uniball gezeichnet.
Aus der Ferne wirken die Linien mit höchster Präzision aufgetragen, tritt man näher, sind kleinste Ungenauigkeiten erkennbar. Des Rätsels Auflösung: Jürgen Kellig zeichnet sie frei Hand, ohne Hilfsmittel auf das Papier. Linien, die konzentrisch zusammenlaufen oder strahlenförmig auseinanderstreben. In Kraftzentren gleich bündeln sich die Striche wie von Magneten angezogen, können parallele Bahnen einschlagen, sich aber plötzlich im Zickzack in alle möglichen Richtungen bewegen. Chaos, Ordnung, Auflösung und Verdichtung zu labyrinthischen Räumen bilden hier ein wie von geheimen Kräften gesteuertes Programm. An manchen Punkten könnte der Körper einer Spinne im Zentrum die Fäden ziehen, aber das ist alles nur die Illusion, die im Kopf der Betrachtenden kurz aufblitzt. Jürgen Kellig gelingt es, auf den Blättern eine dreidimensionale Anmutung zu schaffen, in dem er parallele Linien strafft und dann wieder soauf einen Raum verengt, als ob hier verschiedene Perspektiven zum Tragen kommen und er damit gekonnt einen 3-D-Raum vortäuscht.

Aufrisse, imaginierte Kartographie städtischer Räume womöglich, oder komplizierte Schaltpläne und Leitsysteme, die freilich eher mit dem Anarchischen spielen und bei der Entstehung ohne jegliche Vorplanung der spontanen Intuition von Jürgen Kellig unterworfen sind. Interessant wäre es zu untersuchen, wie sich der Gemütszustand Kelligs während der Arbeit einschreibt und in den Zeichnungen artikuliert. So genau und auf den Punkt gebracht die Zeichnungen wirken, so intuitiv entstehen sie, wie mir Kellig versicherte. An einer Ecke angefangen, geht es weiter im Wechsel von Rundung, gerader Linienföhrung, Strichelung, Konzentration und Auflösung. In einigen Blättern der letzten Zeit schleichen sich Elemente ein, die aus Comics entwendet sein könnten. Röhren oder kettenartige Glieder,die den jeweiligen Blättern nochmals eine ganz andere Anmutung verleihen.

Trotz Kontemplation im Zeichenprozess wird Kellig offenbar immer wieder neu durch Impulse zu Bildstörungen und Kursänderungen provoziert. Dieser ständige Wechsel zwischen den Formen verleiht den Zeichnungen ihre Dynamik und Spannung.

Matthias Reichelt:
Eröffnungsrede zu FEDERLEICHT mit Werken von Birgit Borggrebe, Jürgen Kellig, Katharina Schnitzler, Marianne Stoll und Ulrike Martha Zimmermann
im Verein Berliner Künstler_12.1.2024